Körper-Geisteshaltung und Gitarre

Die im folgenden dargelegten Gedanken erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Ausschließlichkeit, sondern wollen einen Diskussionsbeitrag leisten zu der Thematik der körperlichen und geistigen Belastung von Profimusikern im allgemeinen und Gitarristen im besonderen. Zu Beginn wird die Problematik für Musiker allgemein dargestellt, danach wird ein kurzer geschichtlicher Abriß der unterschiedlichen Körperhaltungen von Gitarristen in den letzten zwei Jahrhunderten gegeben, und abschließend werden Lösungen in Form von verschiedenen Möglichkeiten von Körper-und Geistesarbeit kurz vorgestellt. Wer sich mit diesen verschiedenen Methoden, die im übrigen in der Regel Geist und Körper als Einheit sehen (Stichwort Psychomotorik), intensiver vertraut machen möchte, der sei auf die Linksammlung dieser Homepage hingewiesen.

Villeicht mag der ein oder andere Kollege oder Musikliebhaber von den Erfahrungen des Autors dieser Seiten profitieren.

Auszug aus einem Artikel in den "Badische neueste Nachrichten"

nach Sylvia Pabst

Viele Profimusiker spielen sich zum körperlichen Wrack

Verdrängen des Risikos ist weit verbreitet

Musizieren bereitet nicht nur Freude, sondern kann auch krank machen. Profigeiger zum Beispiel leiden häufig unter Sehenscheidenentzündung oder unter einem Tennisarm, Orchestermusiker weisen nicht selten Hörprobleme auf und Sänger müssen mit so genannten Sängerknötchen rechnen, knötchenartige Wucherungen an den Stimmbändern. Nach Angaben des Oberarztes für Stimm-und Sprachheilkunde, Bernhard Richter, sind in Deutschland derzeit mehr als 40000 Musiker professionell in der klassischen Musik tätig. Hinzukommen 20000 Musikstudenten von denen bis zu 60% spielbedingte Gesundheitsstörungen angeben. Zudem würden jährlich 13% der aktiven Orchestermusiker wegen Berufsunfähigkeit vorzeitig ihren Job aufgeben."Auch Lampenfieber ist ein riesiges Thema", sagt der Oberarzt und studierte Musiker. Bis zu 50% der Konzertmusiker würden wegen der Anspannung vor einem Auftritt regelmäßig Beruhigungsmittel einnehmen.

Noch dratischere Zahlen nennt der Freiburger Orthopäde und Spezialist für Musikerkrankheiten, Paul Ridder. "Studien haben ergeben, dass weltweit 75 Prozent der Orchestermusiker über 40 Jahren richtige Wracks sind" Daher seien so gut wie keine älteren Musiker in Orchestern zu finden. 90 Prozent aller Streicher hätten Bißprobleme, da der Anpressdruck der Geige ans Kinn zu hoch sei. Dies führe schon in jungen Jahren zu falsch stehenden Zähnen. Die Folgen davon reichten von Rücken-über Bauchschmerzen bis hin zu Herzrhythmusstörungen. Durch den ständigen Gebrauch einer Fußstütze würden sich Gitarristen ihr Becken total verdrehen.

Körperhaltung und Gitarre

Die in den letzten Jahren glücklicherweise aufgelebte Debatte in Gitarristenkreisen über die "richtige" Haltung der Gitarre beleuchtet die Haltungsproblematik leider allzuoft aus einem falschen Blickwinkel. Richtiger wäre es von einer physiologisch richtigen Körperhaltung, die es gilt mit den motorischen Anforderungen des Gitarrespiels in Einklang zu bringen , zu sprechen und weniger von der richtigen Gitarrenhaltung. Hierzu hat sich schon 1830 Fernando Sor in seiner Gitarrenschule geäußert.

"Da ich keinen Lehrer hatte, so musste ich nachdenken, ehe ich eine Regel zum festen Grundsatz machte. Nun sah ich, dass alle Claviermeister darüber einig sind, dass man dem Punkte gegenübersitzen müsse, welcher die Mitte der Claviatur bestimmt, d.h. vor der Mitte der horizontalen Linie, welche die beiden Hände zu durchlaufen haben; ich fand diese Vorschrift sehr richtig, denn indem beide Arme in gleicher Nähe oder Entfernung vom Körper bleiben, läßt sich jede Bewegung bequem ausführen: und daraus schloss ich, die Mitte der Saitenlänge, der zwölfte Griff müsse sich meinem Köper gegenüber befinden".

Fernando Sor richtet die Instrumentenmitte (12 ter Bund, Treffpunkt von Gitarrenhals-und Köper) mit Hilfe einer Tischstütze an seiner eigenen Körpermitte aus

Durch Neigung des vor dem Körper mittig stehenden Instruments links nach vorne, gerade ausgerichteter Schultergürtel

Ein weiterer Meister seines Fachs aus der gleichen Epoche war Dionisio Aguado, der ungewöhnliche Wege beschritt um Instrument- zu Körpermittigkeit zu realisieren.

D. Aguado mit seiner Dreifußstütze

Mit dem Aufkommen der größer dimensionierten Gitarren eines Antonio de Torres und einer apoyandogeprägteren Anschlagstechnik (der Anschlagsfinger führt die Bewegung in Richtung der nächsttieferen Saite aus und stützt sich anschließend auf dieser) im Zusammenhang einer veränderten Klangfarbenästhetik, die einen beweglichen rechten Arm fordert, haben Gitarristen wie Federico Cano, Miguel Llobet und vor allem der überragende Komponist und Lehrer Francisco Tarrega dem Hochstellen des linken Fußes auf einen Fußstuhl den Vorzug gegeben.

Francisco Tarrega in Spielhaltung

Francisco Tarrega mit Linie durch Körpermitte

Wie bei Tarrega und den folgenden Bildern eines Schülers mit Fußstuhl zu sehen, wird das Instrument auf das hochgestellte linke Bein aufgelegt und die Instrumentenmitte (12.Bund) weit aus der Körpermitte nach links außen verschoben. Die Folgen: durch den aufgestellten Fuß ein verdrehter und angespannter Beckenbereich, Linksdrehung des gesammten Oberkörpers, dadurch Schultergürtelfehlstellung und schlussendlich ein schlechter Kraftumsatz, da die Kraftrichtung der linken Hand weit außerhalb der Körpermitte verläuft.

Schüler mit Fußstütze, Vorder-und Rückansicht

Diese Problematik ist in den letzten Jahren von vielen Gitarristenkollegen erkannt worden, die verschiedenste Lösungsansätze gefunden haben. Ob Kissenunterlage, saugnapfbefestigte Holzrahmen oder Plastikhörner, allen gemeinsam ist, dass sie im Grunde den Fußstuhl unterm linken Fuß wegziehen und ihn per Saugnapf oder Schraubvorrichtung an der Gitarre befestigen. Vorteil: da beide Beine auf der Erde stehen, entsteht eine wesentlich entspanntere Beckensituation, die eine gelöstere Atmung zur Folge hat. Nachteil: weiterhin Linksverlagerung der Gitarrenmitte aus der Körpermitte mit den oben beschriebenen Konsequenzen.

Ende der neunziger Jahre hatte der Gitarrist und Alexanderlehrer Michael Trautmann die Idee, dem aufrecht und entspannt gerade nach vorne ausgerichteten Oberkörper die Gitarre nach Art der alten Flamencohaltung mit Hilfe eines langen Stützstabs auf dem linken Oberschenkel des Spielers anzupassen. Die technische Lösung der Befestigung der neuen Stütze an der Gitarre kam von dem Karlsruher Gitarristen Andrea Sciola, der vorschlug eine dreieckige Platte von hinten auf die Gitarre zu schieben, auf der dann wieder der Stützstab befestigt werden konnte.

Schüler mit Gitarrenstütze, Vorder und- Rückansicht

Vorteil der Steckstütze: aufrechte und entspannte Haltung des gesamten Körpers und durch die Zentrierung des Instruments bequeme Ausführung der Bewegungen beider Arme und Hände mit gutem Kraftumsatz, da vor der Körpermitte gearbeitet wird. Positiver Zusatzeffekt: durch die von hinten aufgesteckte Plexiglasplatte, die mit Abstandshaltern versehen ist, kann der Gitarrenboden frei schwingen, ohne wie bei anderen Lösungen vom Oberkörper der/des Spielerin/Spielers abgedämpft zu werden. Dies macht sich in einer deutlichen Klangverbesserung bemerkbar.

Die abgebildeten Steckstützen wurden vom Autor dieser Seiten im Eigenbau zu Privatzwecken hergestellt

Vorder-und Rückansicht der Plexiglasplatte, die von hinten auf die Gitarre geschoben wird

Gesamtansicht mit Auflageschale

Stütze lackiert und unlackiert

Vorder-und Rückansicht, Gitarre mit Stütze

Geisteshaltung und Musik

So positiv das ausübende Musizieren für die geistige und allgemein menschliche Entwicklung von Kindern, aber auch von Erwachsenen gleich welchen Alters einerseits ist (erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Publikationen des Psychiaters Manfred Spitzer, "Lernen" erschienen 2002 und "Musik im Kopf" ebenfalls 2002 und des Gehirnforschers Wolf Singer, "Ein neues Menschenbild?"), so enorm groß sind andererseits die psychischen Belastungen denen Orchestermusiker, Konzertmusiker und Musiklehrer in ihrem Arbeitsleben ausgesetzt sind.

So sind Orchester-und andere Konzertmusiker einer Stressmelange aus steigendem Leistungsdruck, damit verbundenem Lampenfieber und Terminwahn ausgesetzt. Musiklehrer an Musikschulen oder als Privatlehrer werden dagegen durch die steigende Zahl der zu leistenden Unterrichtsstunden und der immer umfangreicher werdenden Zusatztätigkeiten an die Grenzen ihres Leistungsvermögens gebracht.

Die Konsequenzen sind steigender Konsum von Beruhigungsmitteln, psychosomatische Erkrankungen wie Rückenschmerzen und Tinnitus (Literaturhinweis: Renate Klöppel, Das Gesundheitsbuch für Musiker) sowie statistisch belegt immer häufigeres vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben mit allen damit verbundenen Folgekosten.

Mögliche Lösungswege für den einzelnen betroffenen Musiker können einerseits die aktive Mitgestaltung seiner Arbeitsbedingen in seinem persönlichen Arbeitsumfeld und andererseits die Reflexion über die Qualität seines Umgangs mit sich selbst sein. Bei frühzeitigem Erkennen der Problematik spielt vor allem die Prävention durch gezielten Muskelaufbau und durch vernünftiges Herz-Kreislauftraining eine wesentliche Rolle.

Die Selbstreflexion jedes Betroffenen beginnt mit der Frage nach dem physiologisch vernünftigen Zusammenspiel von Körper und Instrument und führt zum Nachdenken über die Qualität des eigenen täglichen Übens.

So kann die Überlastung von Sehnen und Muskeln durch stundenlanges, gleichförmiges Wiederholen von Problempassagen eines Werkes massiv durch Memorieren dieser Passagen ohne Instrument herabgeseztzt werden. Dies ist ein geistig anstrengender Prozess, der je nach Lerntyp (akustisches, mechanisches oder visuelles Gedächtnis-oft eine Mischung aller Komponenten) andere Vorstellungen abspeichert. Im Hinblick auf die Bewußtwerdung mechanischer und musikalischer Abläufe und ihrer sicheren Reproduktion in einer von Stress geprägten Konzertsituation stellt diese Übetechnik eine unschätzbare Hilfe dar.

Diesen Weg konsequent weiterzugehen bedeutet die Fähigkeit der Selbstbeobachtung weiter zu verfeinern und zu schulen. In diesem Zusammenhang ist es für den Übenden weniger wichtig die musikalische Qualität seines Tuns ins Zentrum seiner Wahrnehmung zu stellen, sondern seinen eigenen Zustand im Augenblick der spielerischen Aktion wahrzunehmen, zu beurteilen und bei Bedarf zu verändern.

Da die meisten Menschen mit der Aufgabe körperliche und psychische Selbstblockaden aufzulösen überfordert sind, haben sich viele zumTeil schon sehr alte Methoden und Techniken der Selbstwahrnehmung-und Schulung entwickelt.So gibt es neben den relativ neuen europäischen Methoden zur Harmonisierung von Geist und Körper wie autogenes Training, Alexandertechnik und Feldenkrais die asiatischen Techniken wie Yoga, Tai Chi, Qigong, Kyudo oder Aikido. Diese setzen seit vielen Jahrhunderten die Einheit von Geist und Körper als selbstverständlich voraus und verfügen so über eine reiche Erfahrung zur Thematik.

All diese verschieden Wege, auch wenn sie das gleiche Ziel verfolgen, ausführlich darzustellen würden den Rahmen dieser Internetseite sprengen. Aus diesem Grunde möchte der Autor dieser Seiten nochmals, auf die seiner Meinung nach sehr informativen Homepages , die in der Linksammlung dieser Seite unter Körper-und Geisteshaltung zu finden sind, hinweisen.

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